Aber auch der Morgen ist relativ warm und beim
Aufbruch habe ich zum ersten Mal keine vor Kälte gefühllosen Zehen
. Der Aufstieg entlang
der Bergflanke beschränkt talauswärts zunächst den Blick auf die tiefblau
heraufschimmernde Lagune. Oh Mann! Dieses Morgenlicht! Diese irren Farben!
Immer wieder bin ich
von Neuem beeindruckt. Wieso tritt da keine Sättigung ein?
Nach jäher Linksbiegung des Weges gewinnen wir langsam Höhe und Sichtfeld. Der Titicacasee grüßt als schmaler, blauer Streifen
knapp unterhalb des Horizonts herüber.
Der Tag wird älter und das Licht immer weicher, durchsichtiger. Das weckt die
Erinnerung an kalte, klare, sonnige Herbst- und Wintertage zu Hause. Der Pfad
ist mittlerweile verloren gegangen. Über flache, zunächst mit
Grasbüscheln, dann nur noch mit Steinen durchsetzte Anhöhen findet Moises
zielsicher die Richtung. Rund um die Kuppe pure Mondlandschaft:
Sand, Geröll und
Steine. Kälte und Trockenheit, vor allem aber wohl der Wind, lassen hier keinen Bewuchs mehr zu.
Ringsum gibt es nichts Spektakuläres, keine aufregenden Naturschönheiten. Und doch sorgen die Kulissen der
"Cordillera" auf der einen und des Altiplano mit dem Titicacasee auf der anderen Seite
für Spannung,
für unablässige
Lust zum Schauen. Von hier oben sollten die Spitzen der westlichen Kordillere
(Cordillera Occidental) mit weiteren 6000ern zu sehen sein, was der Dunst heute jedoch
verhindert.
Von der vegetationslosen "Glatze" starten wir zu langem Abstieg ins nächste Tal, mit zwei weiteren Seen. Das zunächst sanfte Gefälle geht an einer Felspassage urplötzlich in einen steilen, gerölligen Abschnitt über. Trittsicherheit und Vorsicht sind in den nächsten Minuten gefordert.
Als zur Talsohle noch etwa hundert Höhenmeter fehlen, stehen wir vor
dem Ausgang einer von Moises angekündigten alten Mine. Goldsucher haben sich
hier unter erbärmlichen Bedingungen in den Berg gewühlt. Dem Ausgang ist
allerdings nur ein verhältnismäßig kleiner Berg aus Abraum vorgelagert. Wie es
aussieht, war der Stollen nicht ergiebig genug und wurde frühzeitig wieder
aufgegeben. Moises nutzt die Gelegenheit zu einem intensiven Vortrag über die
unmenschlichen Lebensbedingungen damaliger Minenarbeiter. Viele wurden nicht
sehr alt ... Wer einen Blick in den trostlosen Schlund dieser Mine geworfen hat,
den streift eine Ahnung davon, wie hart Überleben in diesem Land sein kann.
Zur Mittagsrast überqueren wir den Bach und
lagern an seinem Ufer. Essen, trinken, träge herum sitzen. Auf der anderen
Bachseite trifft die "Vorhut" einer uns nachfolgenden Gruppe Vorbereitungen für
deren Mittagessen. Die beiden Helfer laden diverse Behälter und Gegenstände von
ihren Tragtieren. Die zugehörige Gruppe können wir um dieselbe Zeit oben
an der Mine ausmachen. Kurz nach ihrem Eintreffen am Fluss brechen wir auf.
Der Aufstieg beginnt an einem Bauernhof. Wir
grüßen die Bewohner. Was ist das? Da steht doch im Hof tatsächlich ein Motorrad!
Wieso auch nicht. Immerhin ein taugliches Vehikel, um die sicher schwierigen Wege
vom Altiplano hier herauf zu meistern. In diesen Hang haben Lamas mehrere Pfadspuren getreten.
Moises versteigt sich zum ersten Mal.
Vor einer Felsbarriere müssen wir wieder Höhe aufgeben. Es verstreicht noch einige
Zeit, bis das nächste
Lager in Sicht kommt. Größere Anstrengungen sind jedoch nicht mehr zu
bewältigen.
Der Lagerplatz ist nach Westen, zum Altiplano hin,
offen. Das beschert uns ungewöhnlich langen Sonnenschein aber auch mehr Wind.
Wieder übernachten wir neben einer "Laguna". Eine Bodenwelle nimmt allerdings die
direkte Sicht. Der Höhe des Wasserspiegels haben die Indígenas mit einer kleinen
Staumauer auf die Sprünge geholfen. Malerisch schmiegt sich die dunkelblaue
Wasserfläche in die umgebenden Höhenzüge und Berge ein. Ich fühle mich zu einer
Umrundung der "Laguna Ajuani" eingeladen! Nach der "Teatime"
wandere ich mit Ines in immer länger werdenden Schatten um den See. Zwei Indígena-Frauen
kommen von ihrer Behausung weiter oben am Hang zum Seeufer herunter. Ich kann
nicht erkennen, welchen Zweck das hat. Holen sie Wasser? Dicht am Seeufer
laufend, scheuchen wir immer wieder Wasservögel auf. Im gleißenden Schein der
letzten Sonnenstrahlen kehren wir zum Lager zurück. Zur gleichen Zeit trifft
eine größere Gruppe sehr junger, englischsprachiger Leute ein. Einige von ihnen
sind völlig am Ende. Sie verfügen nicht über den Luxus einer großen
Begleitmannschaft. So müssen sie ihre Zelt selbst aufbauen und die Mahlzeiten im
Freien einnehmen.