Vor dem Frühstück hatte ich heute zum
ersten Mal ein unsägliches Rendezvous mit dem Toilettenzelt. Keine Ahnung, für wen
sie das gebaut haben. Ständig lief ich Gefahr, das Ding mit dem Kopf umzureißen. Irgendwie kriegte ich im Halbdunkel
meiner Stirnlampe dann doch hin, wozu ich dort war ...
Und das kurz nach dem Aufstehen.
Schon beim Packen der Seesäcke
fehlt mir die Kraft. Mal sehen was das heute wird ... Zum Frühstück
steht Resteessen an. Für heute Nachmittag, auf der anderen Seite der Cordillera,
hat sich der Verpflegungsjeep angekündigt. Dann erwartet Holger auch endlich
Nachricht über den Verbleib von Daniel.
Vom ersten Schritt an quäle ich mich. Die Piste
windet sich in zahlreichen Serpentinen - zum Glück sanft - nach oben. Unter Aufbietung aller
Kräfte kann ich das Tempo halten. Torsten geht ein Stück neben mir und versucht
mich über ein Thema - keine Ahnung was es war - "zuzutexten". Zum Glück ist er
hart im Nehmen, als ich ihm unmissverständlich und sicher nicht gerade
freundlich, klar mache, dass mir heute nicht nach Gesprächen ist.
Bis
zum Pass "Hankokhota"
in fast 5000 Meter Höhe sind nur vierhundert Höhenmeter zu überwinden. Trotzdem
sitze ich bei der Rast am Pass wie ein Häufchen Elend auf einem Stein, schwach und
missgelaunt. Zum Glück geht es nun fast nur noch bergab. Die Straße macht zwei
große Kehren und führt mit mäßigem Gefälle auf eine schon kurz hinter dem Pass sichtbare
Lagune zu. Sie wird von Gletschern gespeist, was an der milchig trüben Färbung
des Wassers zu erkennen ist. Das Ende dieser "Laguna" markiert auch den Ort der
heutigen Mittagsrast. Schlapp und ausgelaugt lasse ich mich auf einen Felsen
sinken. Dieser Tag erinnert mich schon sehr an die "Anpassungstage" in Nepal.
Jetzt steigt die vermaledeite Piste erst mal
wieder an! Aber die Landschaft um mich her ist atemberaubend schön, das hilft.
Jeder Blick fängt postkartenreife Ansichten ein, wofür nicht zuletzt die unglaublich
intensiven Farbtöne verantwortlich sind. In den letzten Minuten ist auch noch
das Rot einer riesigen Schutthalde hinzu gekommen. Nach mehreren Wegbiegungen
lotst uns Moises
zum Fototermin auf einen Felsen, etwas abseits der Piste. Was
für eine Aussicht! Hintereinander gestaffelt und mit unterschiedlichen Farbtönen
staut sich das Wasser zweier weiterer Seen. Und dahinter öffnet sich das Tal zum Altiplano
hin. Immer wieder wechseln die Impressionen entlang der Strecke.
Bildkompositionen in blau,
weiß, gelb, rot, mit Licht und Schatten durch Schäfchenwolken im klaren Himmel.
Sicher
eine Stunde wandert die Gruppe auf der Straße oberhalb der türkisgrünen, schon irgendwie unecht wirkenden
"Laguna".
Immer wieder passieren wir an der Straße auch Eisfälle, die die herrschende
Kälte in Erinnerung rufen. Nur die starke Strahlungswärme der Sonne erzeugt
erträgliche Tagestemperaturen, die
ohne Wind als warm empfunden werden.
Dieses zur Westseite hin abfallende Tal beschert uns auch die ersten Alpakas. Sie sind kleiner, dazu gedrungener als Lamas und haben eine wesentlich feinere und daher wertvollere Wolle. Auf der Ostseite der Cordillera Real werden sie nicht gehalten, weil es dort zu warm (!) ist.
Die Piste zieht sich endlos. Allein das
Panorama entschädigt und hält mich aufrecht. Lamaspuren überziehen den Hang
zwischen Straße und Seeufer mit einem "dekorativen Netz". Dann ist auch die
kilometerlange Lagune
passiert, das Lager in Sichtweite. Zur Ankunft bin ich fraglos am Ende. Auf einem
Stein sitzend schaue ich meiner Frau beim Einrichten des Zeltes zu. Erst nach
einer Weile kann ich mich zum Waschen im Bach aufraffen. Das eiskalte Wasser
ruft einen Teil der Lebensgeister zurück. Kurz vor Sonnenuntergang werde ich
sogar noch einen Spaziergang zur Lagune unternehmen und dabei verwundert
feststellen, dass die Kraft zurück gekehrt ist ...
Der Jeep ist da! Proviant wird ausgeladen und
ich beobachte Moises und Holger. Gibt es Nachrichten? Unglaublich aber wahr: Die
Agentur hat den Fahrern keinerlei Information mit gegeben. Ein solch
offensichtliches Versagen will mir nicht in den Kopf und doch ist es so. Holger
schleicht niedergeschlagen zu seinem Zelt zurück. Ich kann mich ein wenig in ihn
einfühlen und bin sicher, dass mich in ähnlicher Situation die Ungewissheit noch
heute nach La Paz treiben würde ...
Überraschung zur Teatime: Der Jeep hat Kuchen mitgebracht und der gestern früh zu Ende gegangene Kaffee ist auch wieder verfügbar. Ich staune über mich selbst aber das bisschen Kuchen und ein paar Tassen Kaffee heben tatsächlich meine Stimmung ins nächste "High". Entgegen Moises Vorhersagen, nach denen hier auf der Westseite die Nächte viel kälter seien, steht uns eine ausgesprochen warme Nacht bevor. Vielleicht ist das aber auch nur subjektiv so ...