Die
"Aufwach-Einräum-Frühstücksprozedur" ist
schon Routine. Fünf Minuten nach acht ist es wieder soweit. Wieder gehen wir lange im
Schatten, wieder ist es grimmig kalt und wieder spüre ich lange meine Zehen
nicht. An manchen Stellen
haben sich bizarre "Eisblumen" im Gras gebildet. So
sind die Minusgrade auch optisch dokumentiert. Ein strahlend schöner Morgen.
Nur
unten im Tal, aus dem wir gestern aufstiegen, liegt eine Wolkendecke, die jedoch
auch nicht sehr dicht zu sein scheint.
Wie können bei dieser Kälte Blumen blühen? Rote, lampionförmige Blüten ducken sich in den Schutz eines großen
Felsens und anderenorts finden wir kleine gelbe, unseren Margeriten in der Form
nicht unähnliche.
Zum heutigen Pass, dem "Negruni" in knapp 5000 Meter Höhe,
stehen uns 650 Höhenmeter bevor. Die Gruppe ist in ihrer Leistungsstärke sehr inhomogen
zusammengesetzt. Vorneweg wie gewohnt Torsten, Michael und Hartmut. Dahinter
heute Birgit, die jedoch alsbald Fühlung verliert, weil ihr Moises' Tempo zu hoch
ist. Zu "High Noon" ist der Pass geschafft. Zugig und bitter kalt ist es hier
oben. Daher bedauert niemand, dass Moises die Rast 250 Meter tiefer an den Rand
einer Hochebene verlegt. Dort grasen "unsere" Pferde und Lamas, die
bereits eine
halbe Stunde vor dem Pass vorbei zogen. Wirklich warm ist es an dieser
Stelle wegen des Windes auch nicht.

So fällt mir der Aufbruch leicht. Ein feuchtes Hochplateau kann nur am Rand umgegangen werden. Hohe grasbewachsene Inseln ragen aus dem Wasser. Jetzt ist Winter, Trockenzeit in Bolivien. Sicher steht das Wasser im Sommer einige Handbreit höher, und der kleine See am Ende des Plateaus bedeckt dann ein Mehrfaches an Fläche.
Der Weg senkt sich gemächlich
in Richtung des nächsten Lagers. Und er zieht sich schier endlos ... Weit voraus,
dort wo der nächste Lagerplatz liegen muss, haben sich Wolken in das Tal
geschoben. Heribert überholt
mich und berichtet, dass Jochen (II), von Krämpfen geplagt, immer wieder stehen
bleiben muss. Ich beschließe das Stück zu ihm zurück zu gehen und ihn ins Lager
zu begleiten. Natürlich ist es Jochen (II) unangenehm zur Last zu fallen. Das Angebot
seinen Rucksack zu übernehmen lehnt unser Senior ab. Ich halte mich immer ein
Stück weit zurück, um den Eindruck von Ungeduld zu vermeiden
und ihm ein
individuelles, von vielen Pausen unterbrochenes
Tempo zu ermöglichen. Meine Anwesenheit soll ihm nur die nötige Sicherheit
geben. Dass er mir seinen Rucksack nicht aufbürdet, ist mir willkommener als ich
zugeben würde. Immerhin bin ich selbst schon ganz schön "ausgelutscht", spüre
deutliche Anzeichen von Ermüdung. Insgesamt ist meine Form heute um Klassen
schlechter als an den Vortagen. Ich hatte das erwartet. Allerdings noch
wesentlich ausgeprägter. In Nepal nahm mein Körper immer wieder solche
Auszeiten, die ich "Anpassungstage" nannte, weil sie sicher von der dünnen Luft
herrühren. Dort überfiel mich dann sogar ausgeprägte Kraftlosigkeit.
Jochen (II) und ich kommen als letzte im
wolkenverhangenen Lager
an. "Fette", vor Feuchtigkeit triefende Nebelschwaden ziehen
vorbei und lassen mich frieren. Nach dem Abstieg habe ich Kopfschmerzen und
werfe mir eine Saroche-Kapsel ein. So ist dieser Spuk nach einer halben Stunde
vorbei. Heute fällt die Wäsche denkbar kurz aus. Gesicht, Hals, Hände und Arme.
Das war's. Nach mehr ist mir wahrlich nicht in dieser auf die Stimmung
drückenden Suppe.
Wir unterbrechen die "Teatime", um die erste Gruppe der Treiber mit ihren Tieren zu verabschieden . Sie werden heute noch den Rückweg antreten. Morgen früh sollen dann andere an ihre Stelle treten. Nein, kein Zweifel, das wird klappen. Alles hier läuft mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerkes. Viele Zusatzverdienstmöglichkeiten gibt es sicher nicht. So wird wohl niemand durch mangelnde Verlässlichkeit seine Heuer gefährden wollen. Und dann ist es auch schon wieder Zeit zum Abendessen ...