Das ist heute nicht Heriberts Tag.
Und es war schon
nicht seine Nacht: Mehrmals musste er raus, kämpfte mit Erbrechen und
Durchfall. Man sieht ihm seinen desolaten Zustand an. Er glaubt, sein Bad
im eiskalten Wasser der Lagune gestern Nachmittag habe die Erkrankung ausgelöst. Jedenfalls geht er heute ohne Rucksack. Seine Lasten werden
verteilt. Die
300 Höhenmeter bis zum "Apachela-Pass" (4950m) werden auch ohne Gepäck für ihn
zur Qual. Am Pass rasten wir erst einmal. Ständig visiere ich von hier oben den
"Potosí" an. Nun wird sein gewaltiger Aufbau von keinem Hindernis mehr
verstellt. Ein schöner Berg, ein lohnendes Ziel, kein Zweifel - Herzklopfen
stellt sich wieder ein.
So schnell war die Lagertruppe noch nie! Schon am
Pass ziehen die Lamas an uns vorbei. Na ja, heute früh waren ja die beiden
großen Zelte nicht abzubauen. Lamas und Treiber nehmen einen
kürzeren, leichteren Weg als wir. Moises schlägt Heribert vor, mit Guillermo als
Führer, gleichfalls diesen einfacheren Weg einzuschlagen. Als wir dann aufbrechen,
verabschieden wir uns von Heri, Guillermo und Jochen (I), der seinen Sohn
natürlich
begleiten möchte. Es folgt ein langer Abstieg in ein weites, sehr
ebenes Hochtal. Dabei ergeben sich ständig schöne Ausblicke auf "Potosí" und die
Gruppe um den "Nevado Condoriri" (5648m). Bei einem Bauernhof betreten wir
die Ebene. Windstill ist es hier unten und warm. Nach der beißenden Kälte der
zurückliegenden Nächte und mancher Trekking-Abschnitte empfinde ich die hier
herrschende Temperatur sogar als "heiß".
Schon beim Abstieg eilte Torsten wieder mal weit voraus. Jetzt ist er verschwunden. Wir sehen ihn wenig später im Schatten einer Kate sitzen. Als ausgesprochener "Sonnensucher" stelle ich mir vor, dass es gewaltig "nerven" muss, ständig vor der Sonne "davon laufen zu müssen". Gegen den Talschluss steigend, verlassen wir die Hochebene und erreichen nach 10 Minuten einen kleinen, windgeschützten "Kessel". Der mehrfach geteilte Bach hat hier eine richtige Idylle geschaffen, genau der richtige Platz für die Mittagsrast und ein Sonnenbad.
Auf sanft ansteigendem, gut ausgetretenem Pfad
setzen wir die Wanderung fort. Der schwarz-weiße Klotz des "Condoriri" markiert
den Talschluss. Ein schauerlich, schöner Berg. Mit seinen Hängegletschern, die
in einen wild zerklüfteten
Gletscherbruch auslaufen, wirkt er abweisend und
gefährlich. Beidseits seiner mittleren Pyramide stehen zwei weitere, wie Flügel
aussehende, schwarze Wände. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich diese
Dreierkombination als Kondor mit halb entfalteten Schwingen vorzustellen.
Kein Wunder, dass man ihm diesen Namen gab.
Auf einem großen Felsen unweit des Weges sitzen ein paar Kinder. Gelegenheit für Ines, die gesammelten "Caramellos" der letzten Tage los zu werden. Schnell sind die vier pausbäckigen, laufenden "Meter" heran. Mit Gekicher ziehen sie sich gleich wieder auf ihren Felsen zurück.
Wir stehen einige hundert Meter weiter vor der "Laguna Condoriri". Der Gipfel des "Condoriri" und seine Eismassen scheinen nun greifbar nah. Sicher eine der eindrucksvollsten Landschaften dieses Trekkings. Auf der gegenüberliegenden Seeseite können wir schon die gelben "Häubchen" des Zeltlagers erkennen. Bis dorthin ist noch etwa ein Drittel des Seeufers zu umwandern. In diese Spanne fällt einer der schockierendsten Momente dieser Reise: Dicht am Seeufer liegt der verwesende Kadaver eines Mulis. Keine Ahnung wodurch es getötet wurde. Dass man es aber einfach hier liegen und verrotten lässt, passt so gar nicht in die Erlebnisreihe der letzten Tage und fügt den "Postkartenbildern" einen hässlichen Schnappschuss hinzu. Ich empfinde eben "europäisch" und komme aus aufgeräumten, in jedem Detail reglementierten Verhältnissen.
Schon kurz vor 14 Uhr kommen wir im Lager an.
Genug Zeit zum Waschen und Ausruhen. Wir befinden uns in einem richtigen
Bergsteigerlager. Von hier aus sind verschiedene, lohnende Routen am "Condoriri" und seinen Trabanten möglich. Mit unseren unmittelbaren Nachbarn, zwei
Bergsteigern aus Brasilien, wird es dann noch ein wenig Ärger geben ... Von hier
aus haben wir auch das morgige Ziel fest im Blick, im wahrsten Sinne des Wortes
der "Höhepunkt" des Trekkings - den "Cerro Negro". Er ist - wie der Name
schon sagt und vom Lager
aus gut erkennbar - eine schwarze Schutt- und Felshalde von immerhin 5250 Metern
Höhe. Auf dem Rücken im offenen Zelt liegend kann ich seine Gestalt gut
studieren. Die Sonne heizt das Zeltinnere gewaltig auf. Eigentlich ist es mir zu warm.
Trotzdem schaffe ich es nicht, mein faules Dösen zu beenden ...