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Die Trekking-Strecke führte zunächst am Ostrand
der Cordillera Real entlang. Zwischen den einzelnen Lagern (alle auf 3600 bis
4400m Höhe) waren Pässe bis knapp unter die 5000-Meter-Marke zu überqueren. Nach
dem sechsten Lager wechselte die Route dann auf die Westseite des Gebirges. Der
Osten war deutlich wolkenreicher, etwas wärmer und feuchter als die
Westseite. Dort waberten jeden Nachmittag Wolken aus tieferen Lagen auf unsere
Höhe, die dann die Sicht verdeckten oder uns in Nebel hüllten. In den fünf Lagern
am Westsaum änderte sich das grundlegend. Dafür mussten hier in den Nächten oft
tiefere Temperaturen ertragen werden. Als bergsteigerischer Höhepunkt
(oder auch als Ruhetag für müde Trekker) war aus dem zehnten Lager, unterhalb
des "Condoriri", die Besteigung des eisfreien "Cerro Negro" (5250m) geplant.
Tatsächlich! Eine durchschlafene und völlig
beschwerdefreie Nacht liegt hinter mir. Die Grundregel aller Höhenbergsteiger
"hoch gehen, tief schlafen" hat auch mir geholfen. Nach dem Frühstück steht der Jeep für
den Materialtransport schon draußen. Die drei anderen Fahrzeuge - sie kommen aus La Paz -
für die Trekker und die Seesäcke (Dach) sind noch nicht eingetroffen. Moises wird
ungeduldig und bemüht sein Handy. Er bekommt Verbindung und stellt das
Eintreffen der Jeeps für die nächsten Minuten in Aussicht. Moises
ist sichtlich ungehalten und murmelt irgendwas von "zu spät losgefahren" und
"Unzuverlässigkeit". Nicht das erste Mal bin ich erstaunt über die Präzision des
Reiseverlaufes, die Moises
offensichtlich von der Organisation verlangt und die ja bisher hundertprozentig gewährleistet war. In einer mächtigen Staubwolke
rauschen die drei Jeeps nach ein paar Minuten heran und rollen auf den Hof. In
aller Eile wird ein Teil der mitgebrachten Vorräte zu Lunchpakten für den
heutigen Tag sortiert. Dazu
kommen noch ein paar Sandwiches vom Hotel. Parallel dazu stapelt sich das Gepäck
auf den Jeepdächern, und die Trekking-Ausrüstung verschwindet auf der Ladefläche des Pick
Up unter einer großen, blauen Plastikplane. Zwei zum Hotel gehörende Hunde
interessieren sich für die gepackten Lunchpakete. Es könnte ja was abfallen ...
Zwischendrin rasen sie aber immer wieder mal mit lautem Gebell das Grundstück
rauf und runter, wenn ein Fahrzeug auf der Piste vorbei staubt.
Als sich die Kolonne nach einer halben Stunde
in Bewegung setzt, hat sich die Sonne immer noch nicht blicken lassen. Das Tal
hängt voller Wolken. Das "Gran Hotel" liegt am Anfang der Stadt und wir müssen
auf die andere Seite. Gleich unterhalb des Hotels passieren wir eine Schranke
mit einem Wachposten. Schon gestern habe ich mich gewundert, was das zu bedeuten
hat. Letztlich vergaß ich allerdings Moises nach dieser "Schikane" zu
fragen.
Die kurze Fahrt durch "Sorata" liefert wieder neue und bestätigt gehabte
Eindrücke über Handel und Wandel der Menschen in diesem Land. Hinter dem
Ortsausgang geht es in unzähligen
Kurven, Wendungen und Serpentinen stetig bergauf. Manchmal ist die Piste
dermaßen ruppig, dass ich auf der Rücksitzbank des Jeeps wie ein "Gummiball"
herum hüpfe. Die Fahrt zum 4400 Meter hohen "Chuchu-Pass" zieht sich in die Länge und
hat im Nebelgrau einen verschwindend geringen "Unterhaltungswert". Da müssen wir
eben durch ... Eine Stunde ist um, der Pass noch fern und die Wolkensuppe
dichter denn je. Erst auf einer Höhe von etwa 4000 Metern reißt die
Wolkendecke auf, erlaubt jedoch keine Fernsicht. Wir halten kurz, um uns die
malträtierten Beine zu vertreten, ein paar Fotos zu schießen und zu tun, was
halt getan werden muss. Noch einmal 30
Minuten geht es bei jetzt stetig besser werdender Sicht auf staubiger Straße
nach oben. Auf dem "Chuchu-Pass", einer relativ großen
Hochfläche,
teilt sich die Piste. Von hier haben wir einen passablen Rundblick auf die
grauen und schwarzen Hänge der umliegenden Bergformationen. Dazwischen verlieren
sich vereinzelte Matten aus längst verdorrten Gräsern. Nicht sonderlich einladend,
schon gar nicht attraktiv, ist mein Eindruck bei diesem Haltepunkt.
Wie von Moises angekündigt,
fahren wir noch ein paar Kilometer abwärts in Richtung "Ancohuma-Tal". Etwa
auf halbem Weg zu unserem ersten Nachtlager stoppt die Kolonne und wir machen
uns für den ersten kleinen Marsch fertig. Ich preise mich glücklich endlich den
"Blechkisten" zu entkommen. Die Jeeps fahren weiter zum Lagerplatz und
wir verlassen die Piste auf einen Trampelpfad, der hier in Richtung Bachgrund
abzweigt. Der steife Gegenwind hat alle dazu bewogen, sich mit Fleecejacke und
Mütze zu wappnen. Stetig talwärts wandernd, kommen wir zu einer mit großen Findlingen
gesprenkelten Wiese. Moises fordert uns zu einer Rast auf, die ich in der
schwindenden Sonne nicht recht begrüße. Erdnüsse, Kekse, Schokolade, Bonbons ...
das Lunchpaket enthält eine Menge nicht sonderlich gesunder Kalorien. Aber natürlich
können und wollen wir nicht widerstehen
und futtern das Zeug nach und nach auf.
Kurz hinter dem Rastplatz treffen wir zum ersten Mal auf eine Gruppe grasender
Lamas. Obwohl sie, mit fotografischen Maßstäben bewertet, ziemlich "unglücklich" in der Landschaft
positioniert sind, kann ich mir ein paar Aufnahmen nicht verkneifen. Wie soll
ich auch wissen, dass wir die Tiere noch massenweise und in wunderbarsten
Posen antreffen und ablichten können? - Der Himmel bewölkt sich zusehends.
In der Nähe einiger ärmlicher, grasgedeckter Steinhütten begegnen wir einem
jungen, ziemlich verängstigten Hündchen. Hübsch ist er ja, aber sicher auch
voller Flöhe. Ganz offensichtlich wartet er auf Herrchen oder Frauchen ...
Nach diesen "tierischen Intermezzi" ist es nicht
mehr weit zum ersten Lagerplatz. Dort wartet eine angenehme
Überraschung auf uns. Eigentlich hieß es im Reiseprogramm, dass wir unsere Zelte
selbst auf- und abbauen müssten.
Doch schon von weitem leuchten uns die gelben
Pilze der Zweimannzelte entgegen. Das Lager liegt neben einem von den Gletschern
des "Illampu" gespeisten Bergbach, unweit der Piste. Jenseits der Straße ducken
sich ein paar primitive
Hütten hinter Lesesteinmauern. Heute dauert der "Bezug"
der gelben "Behausung" einige Zeit. An den Folgetagen wird das jeweils in
wenigen Minuten vollzogen sein. Erstaunlich geräumig sind die Zelte.
Das habe ich nicht erwartet. Obwohl von Moises angekündigt, kommt auch ein bald darauf
einsetzendes, sich nun täglich um dieselbe Zeit wiederholendes Ritual
unerwartet: Einer von der Begleitmannschaft verkündet zwischen den Zelten "Teatime",
wozu er heftig auf einen Kochtopf einschlägt. Alsbald sammelt sich die Gruppe im
Esszelt rund um einen wackeligen Campingtisch auf ziemlich unbequemen
Campinghockern. Außer drei Teesorten, gibt es (juchuuu!!!) auch Pulverkaffee,
bolivianische Kräcker und einen weißen, sehr jungen Kuhkäse.
Dieser Käse hat es mir sofort angetan. Er ist leicht gesalzen, hat die Form
einer kleinen Torte, seine Konsistenz ist am ehesten vergleichbar mit heimischem
Käsekuchen und schmeckt vorzüglich. Mitten im anhaltenden Palaver ruft uns
plötzlich jemand nach draußen. Die Wolkendecke ist aufgerissen und gibt die
Gipfel des Illampu
(6368m)
frei. Im Licht der schon sehr tief stehenden Sonne scheint er uns magisch an zu
ziehen ... Jeder vertreibt sich nun die Zeit bis zum Abendessen auf seine Weise:
Reden, Lesen, Dösen, Tagebuch schreiben, und unmittelbare Umgebung des Lagers
erkunden sind die einzigen
"Freizeitmöglichkeiten". Mit der einsetzenden Dunkelheit kriecht auch die Kälte
ins Zelt. Bis auf lange Unterwäsche ziehe ich alles an, was an Bekleidungsschalen
verfügbar ist. Das lange Unterzeug halte ich als Reserve für den 6000er nach dem Trekk zurück. Trotz "Zwiebeltaktik" treibt mich die Kälte
schließlich in den Schlafsack. In dieser Beinahe-Liegestellung kann ich zwar
schlecht lesen, friere aber wenigstens nicht mehr. 19 Uhr: Abendessen. Ab jetzt
an jedem Abend zur selben Stunde. Um 20 Uhr ist dieser Akt dann schon Geschichte.
Nach und nach trollt man sich ins Zelt. Eine lange Nacht, der ich mit Bangen
entgegensehe, liegt vor uns.