Kultur macht müde, Zuhören noch mehr. Die dünne
Luft dieser über 3800m hoch gelegenen Ebene tut ein übriges. Die Zufriedenheit
des Sitzenkönnens verfliegt jedoch sehr schnell, als sich
der Bus wieder in Bewegung setzt.
Über eine elende Piste
schlingert und rumpelt die Reisegesellschaft fortan dem
Fahrtziel Titicacasee entgegen. Der leckere Inhalt des Lunchpaketes droht permanent aus der Hand zu rutschen und Trinken gerät bisweilen zum
akrobatischen Akt. Wie hieß es in der Tourbeschreibung doch so treffend: "...
die Straßen sind oft ungeteert und fordern Ihr Durchhaltevermögen." 45 Minuten
wird unser Durchhaltevermögen getestet, dann passieren wir "Taraco", ein unbedeutendes Nest unweit des
Seeufers. Wenige Hundert Meter voraus schimmert das schilfbestandene
Ufer des Titicacasees. Von der Piste biegt der Bus auf einen Feldweg mit tiefen
Fahrspuren ab, der Richtung Seeufer führt. Was ist wenn wir hier stecken
bleiben? Kaum ist der Gedanke zu Ende gedacht, setzt der Bus auch schon auf und
kommt nicht mehr frei. Wir packen unsere Siebensachen zusammen und steigen aus. Moises
möchte, dass wir erst den Bus nach hinten schiebend wieder flottmachen und die
vielleicht noch 300 Meter bis zum See zu Fuß zurücklegen. Die Havarie
entwickelt sich weit weniger dramatisch als befürchtet: Mit gemeinsamer Kraft
gelingt
schon der erste Versuch den von unserem Gewicht entlasteten Bus wieder frei zu
bekommen. Der Fahrer
"zuckelt" ein Stück rückwärts und wendet dann. Später, auf der anderen Seeseite,
soll er uns wieder aufnehmen.
Wir nehmen die Rucksäcke auf
und wenden uns erwartungsvoll Richtung See. Am Ufer warten zwei Kajütboote mit je zwei
modernen Außenbordmotoren auf uns. Eigentlich ist mein Jugendtraum "vom Inka im Binsenboot auf
dem Titicacasee" gerade zerbrochen. Er hat so gar nichts mit der hier
sichtbaren Realität des Jahres 2005 zu tun.
Dennoch bin ich nicht enttäuscht, als sich die Boote wenig später mit uns an
Bord durch den dichten Gürtel der
Binsen ihren
Weg bahnen. Die ersten Meter noch
per Stange angeschoben, dann getrieben von einem der Außenborder. Vielleicht
liegt es daran, dass ich das Gefühl nicht los werde, als müsste gleich irgendwo eines der
antiquierten Binsenboote auftauchen ...
Der Blick zum Seeufer zurück begeistert. Ufer und Hügellandschaft dahinter sind in kräftigen Gelb- und Brauntönen
koloriert. Darüber das ungetrübte Azurblau eines fast wolkenlosen Himmels. Und
im Vordergrund spiegeln sich Boote und Binsen im stahlblauen Wasser.
Unbeschreiblich schön. Wir gewinnen das offene Wasser des Kleinen Titicacasees
und machen Fahrt. Ein kräftiger Wind bläst ins Gesicht und entgegenkommende
Wellen spritzen bisweilen ein wenig Gischt über die Kajüte. Weit voraus erhebt
sich die Kette der "Cordillera Real" über dem Ostufer. Wir befahren den
kleineren Teil des Titicacasees, der an dieser Stelle aber auch schon eine
Breitenausdehnung von ca. 40 Kilometern hat. Die werden wir auch zurück legen
müssen, um bei "Huatajata" wieder in den Bus zu steigen. Immer wieder gleiten
kleine "Inseln" aus Binsen vorbei. Beinahe die ganze Zeit über stehe ich an Deck
und kann mich nicht sattsehen. Den Platz teile ich mit Jochen (I) und seinem Sohn
Heribert. Ines und die anderen Passagiere unseres Bootes sitzen meist in der
Kajüte.
Nach mehr als einer Stunde nähern wir uns
der Insel "Kalahuta", auf der
prähistorische Gräber besichtigt werden sollen. Langsam und vorsichtig
manövrieren die Bolivianos ihre Boote durch den dichten, der Insel vorgelagerten
Binsengürtel. Zwei Segelboote liegen am Ufer und ein paar Indígenas begrüßen uns
freundlich und mit neugierigen Blicken. Eine kurze Wanderung zu den Gräbern
bietet die Möglichkeit sich die Beine zu vertreten. Weit beeindruckender als die
Gräber (halb zusammen gebrochene Steinhütten) ist immer wieder der Blick auf die
mit Binsen dicht bestandene Bucht zwischen dieser und den Nachbarinseln. Das
Licht der tief stehenden Nachmittagssonne taucht alles in kräftige Farben. Durch
bewirtschaftete Felder, vorbei an zwei Kühen und einem Schwein führt unser Weg
zurück zu den wartenden Booten.
Eine weitere Fahrtstunde habe ich Zeit neue Impressionen zu speichern: Funkelnde Lichtreflexe über den Wassern des Titicacasees, mächtige Berge der Cordillera, die aus seinen Fluten zu wachsen scheinen und das tiefbraune, unbewegte Gesicht unseres Bootsführers, der mit stoischer Ruhe Kurs hält ...
Huatajata: Wir verlassen die Boote und verabschieden uns von unserem Fährmann. Moises nimmt per Handy Verbindung mit dem Busfahrer auf und dirigiert ihn zur Landungsstelle. Handy! Die Zivilisation hält uns eng umfangen. Beruhigt registriere ich, dass der nahende Bus noch raucht und damit eben auch noch fährt.
Nächste Station ist "Tiquina", ein Ort
beidseits der engsten Stelle, an der sich Kleiner und Großer Titicacasee
vereinigen.
Nur ein paar Hundert Meter trennen den Ortsteil
"San Pablo de Tiquina"
vom Ortsteil "San Pedro de Tiquina". Obwohl auch der Bus mit einer Fähre
übersetzt, müssen wir ihn verlassen. Vorschrift! Von geschäftstüchtigen
Einheimischen festgelegte Vorschrift denke ich mir zunächst. Die Gruppe steigt in ein
kleines Motorboot und tuckert los. Just in dieser Minute geht die Sonne hinter
einem nahen Hügelzug unter. Wieder ein fantastischer Anblick ... Als ich den
Blick der anderen Bootsseite
zuwende, begreife ich augenblicklich, warum wir den Bus verlassen mussten: Die Fähre
samt Bus schlingert gefährlich im leichten Wellengang. Es ist gar nicht lange her, da soll
so ein Bus über Bord gegangen sein ...
Noch ein paar atemberaubende Blicke über
Kleinen und Großen Titicacasee gelingen, während der Bus auf 4200 Meter hinaufklettert. Dann werden wir vom totalen Dunkel der bolivianischen Nacht
verschluckt.
Nach 45 Minuten und tausend Kurven, steuern wir unser Tagesziel an, ein kleines aber feines
Hotel in "Copacabana", Hotel "Rosario del Lago". Wir sind verspätet angekommen.
Es bleibt nur eine halbe Stunde, um das Zimmer zu beziehen und zu duschen, bis uns
das Abendessen an gedeckter gemeinsamer Tafel erwartet:
Champignoncremesuppe, Kingfish (lecker!) aus dem Titicacasee und Flan.