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Die
Überfahrt zur Sonneninsel dauerte nur zwanzig Minuten. Am Ende des Anlegesteges
steigen wir ein kurzes
Stück den Hang hinauf. Es gilt eine weitere prähistorische Stätte, einen kleinen
Tempel, zu besichtigen. Wieder entrichtet Moises das fällige Eintrittsgeld für
die Gruppe. Da sitzt tatsächlich ein Kassierer im Freien an einem improvisierten
Steintisch mit Kladde, in die er eingenommene Gelder einträgt. Ines ersteht derweil ein buntes, geflochtenes Armbändchen. Sie zieht
es aus einem ganzen Packen, den ihr eine der sicher jüngsten "Händlerinnen" der
Insel entgegen streckt. Wir verstehen nicht was sie sagt, was sie möchte
allerdings sofort. Die begleitende Mama nennt den Preis: Band und Geld wechseln
die Besitzer und alle sind zufrieden. Obwohl Moises wieder mit breitem Wissen
über die Ruinen des "Palacio Pilcocayna" glänzt, hält sich meine Aufmerksamkeit
jetzt in Grenzen. Auf der Überfahrt war ich ein wenig eingeschlafen und bin nun
immer noch ziemlich erschöpft. Von hier erwarten uns weitere 150m Aufstieg bis zum
heutigen Etappenziel. Nach einer weiteren Rast mit grandioser Aussicht
und reichlich einer Stunde Marsch stehen wir vor der Ökolodge "La Estancia" (www.ecolodge-laketiticaca.com).
Was ist eine
"Ökolodge"? Die Anlage besteht aus
einem Haupthaus in dem gegessen und gekocht wird. 11 Unterkunftshäuschen,
im Stil der Insel gebaut und harmonisch in die umgebende Hanglandschaft
eingepasst, stehen den Gästen zur Verfügung. Strom wird aus Solarenergie
gewonnen, das verbrauchte Wasser wiederverwendet. Die ganze Anlage ist mit einheimischer Flora
bepflanzt. Ein wunderbarer Ort, der uns für zwei Nächte beherbergen wird. Zum
Abendessen wird Regenbogenforelle aus dem Titicacasee gereicht. Die Forelle ist
kein einheimischer Fisch, gedeiht aber prächtig in den klaren Wassern des Sees.
Ruckhaftes Erwachen am Morgen, als es an die
Tür klopft, wir haben uns von den "Nachbarn" wecken lassen. Eine weitere
Horrornacht liegt hinter mir. Die prophylaktische Tablette beim Schlafengehen
brachte wenig Wirkung. In Hitzewallungen und mit bohrenden Kopfschmerzen
"halbschlief" ich dem Morgen entgegen. Gegen drei Uhr entschloss ich mich, unter
Missachtung der in der Packungsbeilage vorgeschriebenen acht Stunden Karenz, eine zweite Kapsel einzuwerfen. Immerhin
schlief ich danach fest ein. Das "Sorojchi-Wundermittel" entfaltet in meinem Kopf
nicht die erhoffte, erlösende Wirkung. Aspirin hätte es auch getan.
Andere Kopfschmerzpatienten aus der Gruppe spürten zum Teil noch weniger
Linderung.
In der Nacht trommelten ein paar Regentropfen auf die Plastikdächer
von Bad und Heizung. Heizung? In der Ökolodge?
An
der Sonnenseite des Häuschens "klebt" ein großer gemauerter "Kasten", innen
schwarz gestrichen und mit lichtdurchlässiger Plastikplatte schräg gedeckt.
Tagsüber heizt sich die schwarze Innenwand gewaltig auf und gibt die Wärme durch
ein Fenster in den Schlafraum ab. Das verhindert selbstredend nicht die
nächtliche Auskühlung, sorgt am Abend aber für angenehme Temperaturen beim
Schlafengehen.
Der Tag beginnt bewölkt aber völlig windstill.
Eine besondere Stimmung liegt über dem See. Nur wenige Sonnenstrahlen,
Scheinwerfern gleich, geben seiner Oberfläche die Farbe von flüssigem Blei. Nach dem Frühstück steigen wir zur Bucht unterhalb der Lodge ab, wo der vom
Vortag bekannte Fährmann mit seinem Boot schon auf uns wartet. Geplant ist mit
dem Boot ein paar Kilometer weiter Richtung Nordspitze der Insel zu fahren und
von dort zur Lodge zurückzuwandern. In der Bucht von "Challapampa" gehen wir von
Bord. Moises Flores trifft auf eine gute, alte Bekannte aus La Paz. Die beiden
begrüßen sich herzlich. Sie ist im Auftrag der Behörden hier,
um dem Dorf bei
der Tourismusentwicklung auf die Sprünge zu helfen. Eigentlich war in Challapampa ein Museumsbesuch
geplant. Das Museum ist jedoch geschlossen und trotz
eiliger Bemühungen eines Dorfbewohners ist der Schlüsselinhaber nirgends aufzutreiben (Schlagender Beweis, wie nötig die Anwesenheit der Tourismusberaterin
hier ist ...). Langsam, zunächst dem Ufer folgend, wandern wir durch den Ort. Moises
schlägt weitere Seiten seiner inneren Enzyklopädie auf, um mancherorts über
Pflanzen, Arbeitsbedingungen der Bevölkerung, soziale Probleme und vieles mehr
zu berichten. An einer Gemeinschaftsbaustelle des Ortes verharren wir ein paar
Minuten und erleben, mit welchen Mitteln hier Bauten errichtet
werden. Ungebrannte Ziegel aus Erde und Gras werden noch oft anstelle von
gebrannten, roten Ziegeln verwendet. Dieser Baustoff kostet eben nichts. Wir
haben das Dorf verlassen und bereits an Höhe gewonnen. Hier beeindrucken gebänderte Gesteinsformationen. Der
Wanderweg ist mit
eben diesen Steinen aufwändig und sicher mühevoll angelegt und gepflastert.
Die
wieder zurückgekehrte Morgensonne geleitet uns zu einem der geschichtlich
sicher eindrucksvollsten und mystischsten Orte Südamerikas ...
Wir betreten den heiligsten Ort der Inkas: Ein
rekonstruierter, dem verloren gegangenen Original nachempfundener Opfertisch
aus großen Steinblöcken markiert den religiösen Mittelpunkt des
Inkareiches und früherer Kulturen. Wir sind in "Titicaca"! Das heißt
übersetzt "Pumafelsen" und war ursprünglich nur der Name dieses
Kultortes, an dem Tier- aber auch Menschenopfer von den Priestern der Inka dargebracht wurden. Erst später erhielten zunächst die Insel, dann der See den
Namen "Titicaca". Während Moises die grausamen Riten vergangener Kulturen
in seiner Schilderung wiederaufleben lässt, läuft es mir unwillkürlich "kalt den Rücken" hinunter.
Ich stelle mir
das Leid der kindlichen Opfer und deren Eltern vor. Immerhin sollen die
Opfer mit Drogen so weit betäubt worden sein,
dass sie die bevorstehende Tötung
nicht erahnten. Die wiedererstarkte, alles mit unglaublich intensiven
Farben anpinselnde Sonne dieses wundervollen Morgens lässt dann aber doch nicht
zu, dass sich Ströme hier vergossenen Blutes als Bild in meinem Kopf
festsetzen. Aber so muss
es gewesen sein an dem heute so friedlichen Ort. Scharen von Anhängern des
Sonnenkultes der Inka aus allen Ecken des Reiches pilgerten hierher ...
Einen Steinwurf vom Opferplatz entfernt führt uns
das sprechende Geschichtsbuch Moises durch die Reste eines Inka-Tempels. Kein
Mensch kann sich das alles merken. Dennoch fesselt Moises seine Zuhörer wieder
und wieder. Es ist
die letzte Station bevor wir uns über den angelegten Weg auf den Rückmarsch zur Lodge begeben. Im sanften Auf und Ab der hier oben nur spärlich mit Grasbüscheln
und sporadischen, kleinwüchsigen Sträuchern bewachsenen Hügel macht die
Wanderung Spaß. Wieder ist Gelegenheit für ein Gespräch mit Jochen (I) und Heri.
An einem Kiosk rastet ein Teil der Gruppe, die
Ungeduldigen zieht es bereits
weiter. Ein Foto von Ines und mir entsteht und für eine Weile genießen wir
den Ausblick auf See und Cordillera. Ein paar Minuten von dieser Stelle entfernt trifft
die Gruppe dann auf zwei Indígenas die sich quasi selbst ausstellen. Sich und
ihre Arbeit. Auf eigengefertigten Webstühlen entstehen farbenprächtige
Teppiche. Bunte, schmale Läufer, die natürlich auch käuflich zu erwerben sind.
Vom heftig fotografierenden Hartmut lassen sie sich auch ihre "Modeldienste"
entlohnen. Meine Fotos entstehen sozusagen "illegal", mehr aus der Distanz und
kostenfrei.
Bevor der Tourismus auf der Insel Einzug hielt,
lebten die Menschen hier von ihrem Vieh und der Landwirtschaft. Davon
berichten die zahlreichen terrassierten, vielfach aufgelassenen Felder ober- und
unterhalb des Wanderweges. Wieder ein Halt! Neuerlich schiebt sich ein tolles Motiv
vor meine Linse und legt es darauf an abgelichtet zu werden. Das hübsche
Indiomädchen lächelt uns an. Sie weiß um ihre Wirkung,
die keinen der fremden
Fotonarren ohne Klick und kleines Geschenk vorüberziehen lässt. B & B
(Bonbons und Bolivianos) finden ihre tiefbraunen Hände und das lässt ihr Lächeln
noch eine Spur glücklicher erscheinen.
Die nicht ganz so Fotoverrückten holen wir erst an der Lodge wieder ein. Dort wurde für uns eine lange Tafel im Freien zum verspäteten Mittagstisch gedeckt. Ich kann mich nur an wenige Mahlzeiten erinnern, die vor so eindrucksvoller Kulisse und mit einem solchen Fernblick gesegnet waren. Ein Frühstück in Nepal unterhalb eines 6000ers zählt dazu und sicher das ein oder andere Essen vor Hütten in den heimischen Bergen. Die Küchenbesatzung der Lodge, ausnahmslos Frauen der Insel, hat für uns im Erdofen Schweinefleisch, Kartoffeln, Süßkartoffeln und Bananen zubereitet. Außer den Bananen, die sind nicht so Ines' und mein Fall, schmeckt alles wirklich ganz vorzüglich. Umgebung und gutes Essen sind beste Zutaten für tolle Stimmung am Mittagstisch. Ist das noch steigerungsfähig?
Bald nach dem Essen verziehen sich die meisten
in oder vor ihre Hütte. Ines und ich bleiben am Tisch sitzen. Birgit und Frank,
das andere Paar in der Gruppe, gesellt sich zu uns. Lesen, Karten schreiben oder
einfach die Sonne genießen und die Blicke über das Panorama streifen lassen. So
vergeht die Zeit bis zur Teatime um 17 Uhr. Um 18.30 Uhr steigen wir mit Moises
zum Hügel über der Lodge auf, um den Sonnenuntergang zu genießen. Denkste!
Aufziehendes Gewölk macht uns einen Strich durch die Rechnung. So bleibt als
Lohn für den Aufstieg "nur" der Rundblick über den See.